Damit ihr euch ein Bild von den Strassen hier machen könnt, ein paar Fakten:
Heute kam in den Nachrichten, dass in den letzten 24 Stunden 72 Menschen ihr Leben auf den Strassen von Kenia verloren haben.
Wenn man hier lebt und vorwärts kommen möchte, nimmt man ein Matatu (ein MiniBus), TuckTuck (ein italienischer Piaccolino auf drei Rädern), PikiPiki (Motorrad) oder für lange Strecken einen Linienbus.
Die Strassen sind oft in einem erbärmlichen Zustand und wenn der Verkehr dicht ist, wird aus einer zwei Spurigen Strasse auch einmal eine vier Spurige. Esther und ich haben während unserer Arbeit im Kinondo Spital regelmässig erlebt, wie TuckTuck Fahrer nach einem Umfall mit einer zertrümmerten Kniescheibe ins Spital kamen.
Das faszinierende an diesen Verkehrsmitteln ist, immer wenn man denkt, jetzt ist das Fortbewegungsmittel voll, steigt noch eine zusätzliche Person ein.
So fuhren wir mit dem Matatu anstatt mit 9 Personen mit 14 Personen, plus Hühnern nach Mombasa.
Um nach Mombasa zu kommen, eine hektische Stadt, jeder versucht etwas zu verkaufen, jeder ruft und schreit und aus dem nichts kann ein Tumult entstehen, muss man die Fähre benutzen.
Dicht gedrängt wird man vorwärts geschoben, auf der anderen Seite stehen zahlreiche Matatus bereit und die "Kontrolleure" schreien wohin sie fahren. Dieses anwerben dauert so lange, bis der MiniBus voll ist.
Auf der Hauptstrasse ist das Gewirr aus Menschen, Fahrzeugen aller Art, Ziegen, Kühen und Händlern so wirr, dass man gar nicht alles in sich aufnehmen kann.
Die Reise mit dem Bus, wir konnten nur noch ein 3. Klass Billett erwerben, war soweit ganz angenehm. Wenn man so dicht beieinander sitzt und einschläft, ist immer eine Schulter zum Anlehnen da:-).
Die Heimreise war wesentlich anstrengender. Unser Linienbus hatte sieben Stunden Verspätung, resp. kam gar nicht an, auf dem Weg nach Kitale hatte der Fahrer einen Unfall, neun Personen aus der gleichen Familie kamen dabei ums Leben.
Unser Ersatzbus muss ein älteres Modell gewesen sein. Die Fenster wurden durch die Holperstrassen immer wieder auf geschüttelt, an Schlaf war nicht zu denken. Bereits in Mombasa kam unser Bus von einer Einfahrt auf eine zwei Spurige verstopfte Strasse. Der Buschauffeur hat hin und her, vor und rückwärts gedrängt und manövriert, niemand verstand was der jetzt genau tut. Hupen, brüllen, er macht weiter. Irgendwann hat er es geschafft den Bus zu wenden und
gegen die Fahrtrichtung zu fahren. Alle entgegen kommende Fahrzeuge mussten auszuweichen. Er hat sich vermutlich dazu entschieden eine "Abkürzung" zu nehmen.
30h anstatt 16h hat die Rückreise gedauert...
Auf einer Raststätte suchte ich das WC, der Chauffeur meinte: "Just behind you!"
Nun ja, seit ich von dem Testosteronie mit einer Machete ausgeraubt wurde, tschüss Handy, bin ich etwas vernünftiger geworden und lies den Spaziergang durch eine enge dunkle Gasse zur Toilette ausfallen, stattdessen paffte ich abseits vom Bus eine Zigi.
Ruft einer: "Lady, willst du Haschisch rauchen?" Wäre vielleicht nicht das dümmste Schlafmittel, trotzdem habe ich dankend abgelehnt und stattdessen gefragt: "Hey, du sitzt am Steuer, transportierst Menschen und kiffst?"
Er grinst, zückt eine Schnapsflasche und meint: "Man muss den Hasch in der richtigen Menge mit dem Spirit (Schnaps) kombinieren, dann werden die Strassen gerade."
Die armen Fahrgäste! Zum Abschluss meinte er: "Wir haben das gleiche Ziel, wenn wir morgen in Mombasa aufeinander warten, ich geduscht habe, können wir gemeinsam z'Mörgele und ich zeige dir die Stadt."
Jep, danke für das Angebot.
Kitale
Auch Kitale ist eine pulsierende Stadt, überall wird alles mögliche zum Verkauf angeboten und vor lauter Leben möchte man sich einfach hinsetzen und dem Treiben zusehen.
Ein junger Mann lies mit einem Verstärker dröhnenden Rapp laufen und vollführte in diesem wahnsinns Verkehr einen mörderischen Tanz zwischen den Fahrzeugen. Ein Battel zwischen ihm und den unterschiedlichsten Fahrzeugen. Die Fahrer hupten, schrieen aus dem Fenster wenn er am Boden lag, aufsprang und weiter tanzte- und das alles zum Geld verdienen!
Bei Imelda zu Hause wurden wir sehr warm in Empfang genommen.
Ihr polygam lebender Vater hatte mit einer Haupt- und drei Nebenfrauen 48 Kinder, Imelda ist mit 27 Jahren die jüngste Tochter.
Die zwei verwitweten Frauen, Mama Viktoria, Imeldas Mutter, eine wundervolle traditionelle Luhia Frau lebt mit der dritt ältesten Tochter und deren drei Kindern und den zwei verwaisten Enkelkinder zusammen in dieser kleinen, grünen Oase.
Es ist ein kommen und gehen von Verwandten und Besuchern. Es ist Ferienzeit und da leben weitere Enkelkinder bei der Grossmutter.
Luhias sind hoch gewachsene Frauen, mit weiblichen Hüften und einem grossen Busen und wenn sie wollen, viel Schwung in den Hüften.
Dort wo Mama Viktoria konnte, ging sie zu den Nachbarn, erzählte ihnen, dass sie eine Musungu (weisse) zu Besuch habe und diese überall mitarbeite, melke, koche und mit ihnen lebe.
Die vielen Frauen erklärten mir die Pflanzenwelt, wofür welche Blätter, Rinden und Wurzeln sind, welche Früchte und welche Gemüse bei Ihnen zu welcher Jahreszeit gedeihen und zum Verzehr- oder zur Heilung von Krankheiten gut sind.
Diese Frauen haben oft viel schweres erlebt, Partner und Kinder verloren und immer ist die Antwort, es tut in der Seele weh, aber Gott hat einen guten Plan und wir vertrauen auf ihn und seine Gnade.
Imelda und v.a. ihre Schwester Caroline leben in zwei Welten, dieser traditionellen Lebensweise und als selbstbewusste, ihr Leben eigenständig organisierend in einer selbst gewählten Arbeits- und Studienwelt.
Viktoria sagte zu Nachbarn, die sich über den westlichen Kleidungsstil ihrer Töchter aufgeregt haben: "Man kann nackt herum laufen und dabei eine wundervolle reine Seele haben. Man kann mit einem Kleid, das so lang ist, dass man beim Gehen auf den Saum tritt, herum wandeln und eine schmutzige Seele haben." Das aus dem Munde einer traditionell denken-, leben-, handeln- und arbeitenden Frau. Wunderbar diese Weite und Grösse.
Die traditionellen Stoffe die sie sich als Kleider umbinden haben Sprüche darauf.
Eine der Frauen sagte: "Das schöne bei uns ist, wenn etwas mit den Nachbarsfrauen vorgefallen ist, suchst du dir ein Tuch mit dem passenden Spruch aus und gehst an ihrem Haus vorbei! Du kannst sicher sein, sie liest den Spruch und kennt dann deine Herzenshaltung." Dann zeigt sie wie sie am Haus vorbei gehen würde, alleine der Hüftschwung könnte einem vom Hocker hauen!
Ein Spruch Beispiel: "Ein voller Magen nützt nichts, wenn das Hirn keine Nahrung bekommt." Autsch!
Alle Anwesenden sind immer irgend etwas am machen, selbst die jüngsten (Akari, 3. Jahre) hilft überall mit, sie hacken mit einem Beil herum, sind zuständig überall die Hühnerkakke einzusammeln, machen den Abwasch, waschen Kleider, räumen am Abend ums Haus herum auf, es braucht jeden. Während dem Tag machen sie es wie alle Anderen, alles wird auf den Boden geschmissen, am Abend räumen die Kinder das Gelände auf und machen ein Feuer um den Abfall zu verbrennen.
Ein ca. 8 jähriger Junge jagt am ersten Tag ein Huhn und läuft mit ihm fort und ich denke, jö, die spielen mit den Hühnern. Er streichelt es und lächelt mich scheu an.
5' später kommt er mit dem Huhn zurück, er hält das geschlachtete Huhn an den Beinen und bringt es zur Räucherküche, extra für mich:-(.
Imelda hat die Situation gerettet und hat den Anwesenden erklärt, Simona isst nichts was Augen hat, keinen Fisch, kein Huhn und auch kein Fleisch.
Am zweiten Tag haben sie extra Spaghetti gekocht, Imelda hat sie eingekauft, weil sie immer noch glaubt, dass es meine Lieblingsspeise ist.
Der Angestellte, er lebt mit dieser Grossfamilie, dachte es sei ein neues Gemüse und kämpfte sich mit Ugali und Spagetthi durch das Nachtessen. Die Frauen kicherten die ganze Zeit, bis ihn jemand erlöst hat und Kabis nach schöpfte.
Die Stube ist ein Raum an dem an jeder Wand Sofas platziert sind, alle sitzen im Kreis und futtern mit den Händen, pro zwei Kinder eine Schale.
Wenn alle fertig sind mit Essen werden die drei Salontische aufeinander gestellt und es wird der einzige Luxus, ein Verstärker, ans Händy angeschlossen und afrikanische Musik dröhnt aus der Musikbox. Die Kids tanzen, gwaggelet mit ihren Pos, da könnte manche YouTube Tänzerin einpacken. Caro und andere Frauen zeigen Muves vor und die Kids kopieren sie. Am Schluss gibt es ein Guezli und die Kinder holen zwei, drei verpisste Schaumstoffe, Leintücher, Wolldecken und schlafen in Reih und Glied in einem Nebenraum augenblicklich ein.
Mama Viktoria und alle anderen schlafen mit irgend einer anderen Frau im gleichen Bett, nur ich habe ein "Einzelbett", teile das Zimmer mit zwei Frauen.
Sie lachen und reden noch lange, währenddem ich versuche auf der Matratze einen Ort zu finden, der noch nicht eine Mulde hat.
Das Schöne in Kitale, es ist am Abend und am Morgen kühl, eine Wolldecke zum Einmummele ist nicht zu verachten:-)
Badezimmer und WC sind ausserhalb vom Gelände. Links die Toilette, ein Loch im Boden, treffen ist Uebungssache, ich bin schon ziemlich gut darin....
Die Dusche rechts hat noch ein kleineres Loch, man wärmt sich einen Kübel Wasser und macht sich mit den Händen nass, seift sich ein und versucht die Seife wieder abzuwaschen. Ich habe mein eigenes System gefunden: Man nehme eine Emailtasse (zum Tee trinken) und füllt sie immer mit Wasser, spritzt sich ab, bis die Seife fort ist. Klappt prima.
Im WC Häusschen sind so viele träge Fliegen, dass sie einfach an den Wänden bleiben, ich wusste, dass ich da eine Obstipation vom gröbsten mache.
Da ich immer "aufgefuttert" wurde, sie fanden mich zu mager, hätte ich dann bald ein ernsthaftes Problem.
Ich habe mich Imelda anvertraut und gesagt, dass ich nichts mehr essen kann, mein Verdauung sei auf Streik.
Tja, es ist eine Grossfamilie und so wurde mir empfohlen auf Imeldas Bruder zu warten, der mache mir aus einer Baumrinde einen Sud. So gingen wir bei Nacht hinaus, zu diesem Wunderbaum, er haute Rinde ab und die Kinder haben sie eingesammelt. Die Frauen haben den Medizinsud gebraut und siehe da, am nächsten Tag kam die Verdauung in Gang.
Ich fragte Imeldas Bruder, ob der Baum nicht Schaden nimmt, wenn man ihm immer wieder mit dem Bango Rinde abhaut und er erklärte mir:
"Pflanzen und Bäume die für medizinische Zwecke gebraucht werden, haben eine selbstheilende Kraft. Sie sind zum Geben da und wissen das.
Es ist wie bei den Menschen, es gibt solche, die können aus dem Innern heraus schenken, andere verlieren ihre Kraft. Gott schenkt seinen Kreaturen unterschiedliche Gaben."
Auf dem Rückweg flogen Glühwürmchen herum, es sieht aus wie Sternschnuppen die auf Bauchnabelhöhe eine Party haben.
Hühner, Kühe, Hunde und Schafe laufen frei um das Haus herum, während dem Essen im Freien scharen sie sich um die Menschen in der Hoffnung, dass auch etwas für Sie übrig bleibt.
Noch selten habe ich in so kurzer Zeit so viel gelernt, kochten im traditionellen dunklen, runden Erdhaus. Die Küche ist zeitgleich auch der Hühnerstall, weil sie dort über die Nacht warm haben und sie vor wilden Tieren geschützt sind.
Melken, dazu binden Sie die Kühe nicht an, sondern sie holen die Kühe, platzieren Sie immer am gleichen Ort und das funktioniert.
Alle zwei Wochen werden sie zu einem speziell für Kühe errichteten Kanal getrieben.
Von der Weise werden sie in einen V förmigen Holzzaun getrieben der dann einen Gang bildet bei dem die Kühe nur hintereinander Platz haben.
Von hinten wird getrieben und gerufen, die drei jährigen helfen fleissig mit, schwingen einen Stock. Dann kommt der "Absprung" und die armen Viehcher müssen in den Kanal mit Pestizid getränktem Wasser springen, 10m schwimmen und am anderen Ende eine Rampe hinauf steigen und auf der Wiese auf ihre Kälber warten.
Die Kälber werden in der Mitte des Kanals hinein geworfen, bis jetzt konnte jede Kuh ans andere Ende schwimmen.
Einmal ging ein geistig beeinträchtigter Mann zum Kanal, seine Eltern waren beschäftigt und haben nicht gemerkt, dass ihr 20 jähriger Sohn sich eigenständig auf Entdeckungstour gemacht hat. Am Abend fand man ihn Tod in dieser Brühe. Das ganze Dorf kam zusammen und beklagte die Tragödie.
Imelas Vater und ihr Bruder (er wurde als Polizist bei einem Autobahneinsatz zu Tode gefahren) sind mitten auf dem Grundstück Erdbestattet. Die grossen Grabsteine werden auch zum Spielen der Kinder benutzt.
Imeldas Schwester: "Sie sind immer mitten unter uns."
Beschneidung
Einmal in der Nacht war ein riesiger Lärm aus der Nachbarschaft zu hören.
Der typische "Aiiiii" Schrei, das hohe Schreien, Rufe, unheimlich.
Imelda: "Simona, ich weiss wie du über die männliche Beschneidung denkst, das was du jetzt hörst ist das Beschneidung Ritual. Alle Jungs im Alter von 12 bis 14 Jahren aus der Umgebung treten am Morgen in Reih und Glied an. Es wird getrommelt, geschrien und die Männer stehen den Jungs gegenüber.
Ein Beschneider kommt und haut einem Jungen nach dem Anderen die Vorhaut mit einem scharfen Stein, Messer oder einer Rasierklinge ab. Ziel ist, dass man keinen Muks von sich gibt, keinen Schmerz zeigt. Wer das schafft, ist ein "richtiger" Mann.
In der Nacht wird der Brauch mit einem Fest, tanzen, schreien, Trommeln vollendet.
Für mich ein Akt der Gewalt und Demütigung gegenüber denen, die ihren Schmerz zeigen.
Danach leben sie in einer Männer Hütte, getrennt von Mutter und dem Kinderlager mit ihren Schwestern und Cousinen, das wiederum macht extrem Sinn.
Zu Besuch bei Tanten und Onkels geben die grossen Cousinen den jüngeren advice.
Ein armer Tropf von 14 Jahren musste sich sicher 45' die Ratschläge der Cousinen anhören, zwischendurch hat er mit gelacht, dann wieder herrlich auf Durchzug gestellt.
Am Schluss habe ich ihm gesagt: Weisst du, ich habe kein Wort verstanden, ich habe nur festgestellt, dass du sehr lange zuhören musstest und es freut mich, dass du auch lachen konntest. Darf ich dir auch einen Rat geben?
Was sollte er sagen, also sagte er: "ja, ich höre."
Ich sagte ihm: Jede Safari (Reise) beginnt mit nur einem kleinen Schritt. Nimm von heute Abend nur ein Wort, einen Satz und geh einem Schritt weiter, dass bring dich zu DEINEM Ziel.
Alle nicken, reden noch 30' auf ihn ein und drehen sich zu seiner Schwester.....
Es gäbe noch viel zu erzählen, ich lasse es einmal so stehen, mit dem Herzen voller Wärme für diese wundervollen Menschen.
Auf der Fahrt nach Hause, ziemlich müde und durchgeschüttelt, alleine auf den Raststätten (Imelda konnte schlafen wie ein Baby) wieder in dieser Wahnsinnigen Stadt Mombasa, über die Fähre, Matatu, PikiPiki um nach Hause zu kommen.... Wusste ich immer, Gott ist mit mir, was sollte mir da geschehen?
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Dusche und WC |
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Das Bettzeug der Kinder wird durch den Tag gelüftet. |
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Ziebrunnen |
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Simone am melken |
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Mit Mama Viktoria und grosskindern |
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und mit einer Schwester von Imelda |
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Mit Mama Viktoria vor dem Haupthaus |
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